Bericht über den Vortrag von René Gass (5. März 2018)

 

Am vergangenen 5. März trafen sich etwa 30 interessierte Schneider und etwa 20 Kürschner zunächst im Restaurant Löwenzorn zum gemeinsamen Essen und anschliessend im Löwensaal zum Vortrag von Alt-Meister René Gass zum Thema Kürschner und Schneider im Mittelalter, Streifzüge durch die wechselvolle Geschichte unserer beiden Halbzünfte.

René Gass ist ja bekanntlich auch Historiker und hat sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Basler Schneidernzunft weiter zu erforschen, um sie in Buchform zu publizieren, denn unsere Zunft ist eine der wenigen, die noch über keine solche Monographie verfügt. In seinem Vortrag präsentierte er ein paar Highlights seiner bisherigen Arbeit unter den folgenden vier Gesichtspunkten:

1) Die Anfangsphase der beiden Zünfte

2) Soziales Prestige und Karrieremöglichkeiten

3) Streitkultur unter Vorgesetzten

4) Zünftige Frauen 

Ich beschränke mich in der Folge darauf, den geneigten Leserinnen und Lesern ein paar Leckerbissen aus dem Vortrag zu präsentieren, die uns René in seiner unnach-ahmlichen Art servierte: locker, humorvoll und zugleich präzise und kohärent. Die anwesenden Zunftbrüder und -schwestern waren begeistert und hätten ihm noch lange zuhören können.

Schneider, Kürschner und Halbzünfte: Als 1332 in Basel der Grosse Rat zum ersten Mal mit Zunftvertretern gebildet wurde, erhielten diese 15 Sitze zugestanden. Leider gab es aber 19 Zünfte. So wurden denn acht Zünfte zu Halbzünften "degradiert", die zusammen einen Ratssitz teilen mussten: Schneider und Kürschner, die Zunft zum Goldenen Sternen und zum Himmel, die Schiffsleute und Fischer, die Schuhmacher und Gerber.
Die ersten Zunftvertreter waren indes nicht die eigentlichen Handwerksleute, die mussten sich ihren Platz im Rat erst erkämpfen, sondern den Zünften zugeordnete Geistliche!
Erst ab 1876 wurden alle Zünfte wieder vollwertig, da hatten sie aber ihre beherrschende Stellung im Grossen Rat schon lange verloren. – Eine Liste der Meister und Ratsherren findet sich im Anhang unseres Rodels. –
Verschiedene Dokumente (z.B. eines von 1347, eine Vereinbarung über die gemeinsame Kasse) belegen, dass es zwischen Schneidern und Kürschnern immer wieder Streitigkeiten gab, meist wegen Geldangelegenheiten, was denn auch dazu führte, dass die einen oder andern, immer vergeblich, versuchten, den Status einer vollwertigen Zunft zu erlangen.

Zum sozialen Prestige sei erwähnt, dass dasjenige der Kürschner in der Regel höher war, da sie Materialien verarbeiteten, die als edler galten, und darum auch meist reicher waren. Die Schneider wurden schon im Mittelalter oft verspottet (wie später noch bei Wilhelm Busch), in vielen Karikaturen und Spottliedern über Schneider erscheinen auch Ziegenböcke! Nichtsdestotrotz gab es auch reiche und angesehene Schneider und die Halbzunftregelung (War ein Schneider Ratsherr, so war im gleichen Jahr ein Kürschner Meister der beiden Halbzünfte, und umgekehrt.) verhalf ihnen auch zu einem gewissen politischen Einfluss.

Anfänge und Frauen: Die E. Zunft zu Kürschnern verfügt über den schweizweit ältesten Zunftbrief (1226). Dies ist gleichzeitig auch der einzige Zunftbrief, in dem ausdrücklich erwähnt wird, dass auch Frauen Zunftmitglieder werden konnten.
Der Zunftbrief der E. Zunft zu Schneidern von 1260 liegt leider nur in einer stark verkürzten Abschrift von 1481 vor. Frauen sind darin nicht erwähnt. – Wie die Zeiten sich doch ändern, Anm. des Red. – Leider gibt es nicht viele historische Belege über zünftige Frauen, zum Teil kann man sie aufspüren, jedenfalls die Frauen mit eigener Werkstatt, wenn man die Steuerrodel durchackert. – Es sei in diesem Zusammenhang auf die Tabelle im Artikel über Tanja Antener im letzten Glettyse verwiesen. –
Kurios ist die Tatsache, dass mit dem Begriff "Näherinnen" immer Schneiderinnen bezeichnet wurden, dass aber mit "Nähern" immer Kürschner gemeint waren.

Zunfthäuser: Eine erste bekannte Laube, d.h. Zunftstube, der Kürschner befand sich in einem Haus auf dem Marktplatz, vis-à-vis des Rathauses. Die dortigen Häuser mussten der Erweiterung des Markplatzes im 19. Jahrhundert weichen. Das oben erwähnte Dokument von 1347 ist auch darum interessant, weil es bezeugt, dass Kürschner und Schneider in jener Zeit eine gemeinsame Laube, mit gemeinsamer Kasse, betrieben.

Nach dem Erdbeben von 1356 kamen die beiden Halbzünfte zu eigenen Zunfthäusern, die Kürsch-ner vis-à-vis der Safranzunft (dieser Teil der heutigen Gerbergasse hiess damals Rinder-markt), und die Schneider in der Gerbergasse, etwa bei Nr. 36, wo etwas versteckt im Eingang eine Tafel darauf hinweist, südlich des heutigen Unternehmen Mitte. Beide Häuser fielen eben-falls den Strassenkorrekturen im 19. Jahrhundert zum Opfer. Die Schneidernzunft wurde mit Fr. 50'000 für die Enteignung entschädigt. Das Geld wurde hauptsächlich in mündelsichere Anleihen angelegt. Das Haus der Schneider hiess übrigens "zum Römer", weswegen der Meister auch immer wieder als Meister zum Römer bezeichnet wurde.

Der ehemalige Standort der Zunftlaube der Kürschner um 1347 (mit Gastrecht für die Schneider)

Zunfthaus2

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    Das Zunfthaus zum Römer und ...                          ... sein Innenhof.

                                                                                                          12. März 2018

                                                                                                          René Kontic

                                                                                                          Schreiber

                                                                                                          E.E. Zunft zu Schneidern

P.S.

Zum Thema Frauen und Zunft heute

Auszug aus dem Glettyse 6 vom Herbst 2017:

  Im Basler Banner 19 vom Nov. 2000 findet sich ein möglicherweise wegbereitender Artikel zu "Das besondere Thema: Frauen in der Zunft", von Max Pusterla, mit dem prophetischen Satz: "Eine andere Lösung [als die Gründung einer Frauenzunft] wäre, dass die eine oder andere Zunft den mutigen Schritt wagt und mittels eines Grund-satzentscheides die Aufnahme von Zunftschwestern in ihren Reihen ermöglicht."

  Diesen Schritt tat die E. Zunft zu Schneidern am 7. Mai 2002, womit sie "eine Männerbastion geschleift" hat, wie es in der Presse hiess, und sechs Jahre später folgte ihr E.E. Zunft zu Gartnern (erste Aufnahme am 1. April [!!] 2008) und ein weiteres Jahr später E.E. Akademische Zunft (erste Aufnahme, gleich fünf Frauen, am 22. Sept. 2009).

  Bei den Schneidern sind mittlerweilen 9 von 90 Mitgliedern Frauen (Aufnahme-bedingung: gelernte Schneiderin). Bei der Gartnern-Zunft stellen die Frauen 13% der Mitglieder (20 von 153), bei den Akademikern 10% (13 von 130). Diese beiden Zünfte kennen keine Einschränkungen für die Aufnahme von Frauen.

  Was die Zürcher Zünfte von Frauen halten, nämlich nichts, wird fast jedes Jahr zum Thema in den dortigen Zeitungen. Bei den Berner Zünften sind Frauen hingegen kein Thema, sie sind dort nämlich voll gleichberechtigt.

  Den Ewiggestrigen seien zudem die Verhältnisse um anno 1429 in Erinnerung gerufen:

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